Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin! (Matthäus-Evangelium 5, 38 + 39)
Liebe Leser,
nicht Rache, sondern Schadensbegrenzung ist nötig! Unser Leben ist nie konfliktfrei. Immer wieder ist Streit möglich. Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen. Gott hat durch Mose geregelt: im Streitfall gilt der Grundsatz „Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, Beule um Beule, Wunde um Wunde“ (Exodus 21, 23 – 25). Damit ist Rache und maßlose Vergeltung ausgeschlossen. Ein gerechter Schadensausgleich soll die Ethik im Alltag bestimmen. Gott will keine blutrünstigen Rächer wie Lamech. Lamech war der Sohn des Brudermörders Kain. Er prahlte mit seiner Brutalität. Er erschlug einen Mann, der ihn verwundet hatte. Er tötete einen jungen Mann, der ihm eine Beule zugefügt hatte (Genesis 4, 23).
Gott zeigt einen neuen Weg. Jesus geht diesen neuen Weg mit seinen Jüngern. Nicht mehr die Gier nach Vergeltung soll das Leben seiner Jünger bestimmen, sondern Gnade und Barmherzigkeit auch mit den Feinden. Jesus hat das vorgelebt. Als der Hohepriester ihn verurteilt, spucken ihm seine Peiniger ins Gesicht und schlagen ihn mit Fäusten (Mt. 26, 67). Folter nennen wir das heute. Am Kreuz bittet er Gott, den Vater im Himmel: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lukas 23, 34).
Unrecht bleibt Unrecht. Böses bleibt Böse. Aber der Umgang mit Unrecht und Bösem soll nicht von Rache und Vergeltungssucht bestimmt sein. Wie schwierig das sein kann, sehe ich beim Apostel Paulus. Als er vor dem Hohen Rat verhört wird, lässt ihn der Hohepriester Ananias ins Gesicht schlagen. Das war damals ein klarer Rechtsbruch. Paulus wehrt sich dagegen! Doch dann beschimpft Paulus den Chef-Theologen mit den Worten „Du getünchte Wand!“ Als er erfährt, wen er beschimpft hat, entschuldigt er sich. Er erinnert sich: „Ihr sollt ein Oberhaupt eures Volkes nicht verfluchen“ (Apostelgeschichte 23,1 f). Paulus weiß aus eigener Erfahrung, dass er die göttlichen Maßstäbe nicht erfüllen kann. Und dennoch ermutigt er andere Christen: Wenn euch jemand Unrecht tut, dann zahlt es niemals mit gleicher Münze heim. Vergeltet niemals Unrecht mit neuem Unrecht. Soweit es irgend möglich ist und von euch abhängt, lebt mit allen Menschen in Frieden (Römerbrief 12, 17 + 18).
Dann treibt er es auf die Spitze: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“ (Römerbrief 12, 21). Das Böse mit Gutem überwinden? Geht das?
Der Graffiti-Künstler Bansky hat das an eine Wand gemalt. Meisterhaft, wie ich finde. Sie finden dieses Graffiti im Internet. Suchen Sie einmal unter der Jahreslosung 2011 „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“
Das Bild zeigt einen jungen Mann, der in einer Straßenschlacht kämpfen könnte. Baseball-Mütze auf dem Kopf. Gesicht teilweise vermummt. Den Gegner im Blick. Der ganze Körper ist angespannt. Er holt zum Wurf aus. Doch in seiner Hand ist kein Stein, kein Molotow-Cocktail. Er wirft einen Blumenstrauß.
Das Bild wirkt grotesk. Das passt ja nicht zusammen. Ein vermummter Straßenkämpfer wirft seinen Gegnern einen Blumenstrauß zu. Das könnte doch womöglich das Ende des Streites einleiten! Ein fliegender Blumenstrauß wäre ja so etwas wie eine Friedenstaube.
Bis die Weltpolitiker ihre Schwerter zu Pflugscharen machen (Jesaja 2, 4), scheint mir noch ein langer Weg. Aber wir Christen können heute schon in unseren Familien, zwischen Nachbarn, am Arbeitsplatz dafür „kämpfen“, dass Streit nicht eskaliert. Wir können uns dafür einsetzen, dass Unrecht durch uns aktiv überwunden wird. Dass es keine Spirale des Hasses und der Vergeltung gibt. Ein kleines Blumensträußchen könnte eine symbolische Friedenstaube sein. Kann signalisieren: Mensch, wir setzen uns zusammen und reden wieder miteinander. Wir entschuldigen uns für unser Unrecht. Wir setzen auf einen neuen Weg.
Es gibt zu viele „Lamechs“ und zu wenige, die mutig einen anderen Weg gehen. Jesus Christus hat uns gesagt, wie es geht. Paulus hat es versucht. Wir könnten es auch probieren!